Relikt der Eisenbahngeschichte

HARTMANNSHAIN (eig). Im 1425 erst­mals ur­kund­lich er­wähn­ten Hart­manns­hain gibt es nur we­ni­ge be­mer­kens­wer­te his­to­ri­sche Bau­wer­ke. Und es hät­te nicht viel ge­fehlt, um die oh­ne­hin recht über­sicht­li­che Lis­te der Bau- und Kul­tur­denk­mä­ler in dem knapp 220 Ein­woh­ner zäh­len­den Gre­ben­hai­ner Orts­teil noch kür­zer aus­fal­len zu las­sen. Knapp fünf Jah­re ist es näm­lich jetzt her, da wur­de für das wohl ein­drucks­volls­te Zeug­nis der Ver­gan­gen­heit des Or­tes eine Ab­riss­ge­neh­mi­gung er­teilt: Die 1905 aus Ba­salt­stei­nen er­rich­te­te ele­gan­te Bo­gen­brü­cke über den Vulkanradweg. 

Dass es ganz an­ders ge­kom­men ist, ist hin­läng­lich be­kannt. Denn die Ab­riss­ab­sich­ten der Ge­mein­de Gre­ben­hain stie­ßen sei­ner­zeit in Hart­manns­hain selbst und dar­über hin­aus auf schar­fen Wi­der­spruch. Eine Bür­ger­initia­ti­ve und in der Fol­ge ein För­der­ver­ein bil­de­ten sich. Durch de­ren Öf­fent­lich­keits­ar­beit – zwei gut be­such­te „Brü­cken­ta­ge“ in­klu­si­ve – und die von ver­schie­de­nen Sei­ten ein­ge­gan­ge­nen fi­nan­zi­el­len Zu­sa­gen wur­den die Plä­ne zur Schlei­fung des Bau­denk­mals schließ­lich im Herbst 2018 ad acta gelegt.

Bis die auf die Vor­aus­pla­nun­gen und Vor­un­ter­su­chun­gen fol­gen­den ei­gent­li­chen Sa­nie­rungs­ar­bei­ten be­gin­nen konn­ten, muss­te al­ler­dings noch et­was Zeit ins Land ge­hen. Erst im Mai des ver­gan­ge­nen Jah­res konn­te das Bau­ge­rüst auf­ge­stellt wer­den. Da­nach ging es al­ler­dings schnell: Durch die Ar­beits­kräf­te der Fir­ma Bau­kult aus Hatz­feld (Eder) wur­den nach und nach von un­ten her die in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten ent­stan­de­nen Ris­se und Fu­gen ver­füllt. Ab Mit­te Juni wur­den auch die brö­ckeln­den Flan­ken des Mau­er­werks neu auf­ge­mau­ert. Zu­dem wur­den der bis­he­ri­ge Brü­cken­be­lag aus Asphalt und alle Ver­fül­lun­gen ent­fernt und das Brü­cken­ge­län­de mit Ton und Lehm neu abgedichtet. 

Am 15. De­zem­ber er­folg­te der letz­te Akt. Das über meh­re­re Mo­na­te hin­weg be­hut­sam re­stau­rier­te Ge­län­der wur­de wie­der an der Brü­cke an­ge­bracht. Es han­delt sich da­bei zum größ­ten Teil tat­säch­lich um das ori­gi­na­le 116 Jah­re alte Ei­sen­ge­län­der, das da­mals wie heu­te ein ge­fahr­lo­ses Be­tre­ten und Be­fah­ren der Brü­cke si­cher­stel­len soll. Ein­zi­ger Tri­but an die Jetzt­zeit (und ins­be­son­de­re an die heu­ti­gen ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten und Nor­men): Das Ge­län­der ist auf ei­nem be­to­nier­ten So­ckel hö­her ge­la­gert. Au­then­tisch und stim­mig wirkt auch wie­der das Kopf­stein­pflas­ter auf der Fahrbahn.

Seit der An­brin­gung des Ge­län­ders ist es auch wie­der mög­lich, über die Brü­cke den Vul­kan­rad­weg zu über­schrei­ten. Der wäh­rend der Ar­bei­ten er­rich­te­te pro­vi­so­ri­sche Bau­zaun ist ent­fernt. Wo­bei das Über­schrei­ten hier tat­säch­lich im Vor­der­grund steht, denn die Brü­cke ist aus­schließ­lich für Fuß­gän­ger und Rad­fah­rer vor­ge­se­hen, nicht aber für den mo­to­ri­sier­ten Ver­kehr. Ga­ran­tie­ren sol­len das die die rot-wei­ßen Um­lauf­sper­ren an den Brü­cken­auf­fahr­ten. Für die heu­ti­gen land­wirt­schaft­li­chen Ma­schi­nen wäre die in der Zeit der Pfer­de- und Kuh­fuhr­wer­ke kon­zi­pier­te Brü­cke, ab­ge­se­hen von der zu­läs­si­gen Be­las­tung, oh­ne­hin zu schmal. Für sie gab es schon vor der Brü­cken­sa­nie­rung an an­de­rer Stel­le eine ge­eig­ne­te Zu­fahrt vom Ort in den öst­li­chen Teil der Ge­mar­kung Hartmannshain.

Doch nicht nur Wan­der­we­ge füh­ren über die Brü­cke von Hart­manns­hain, son­dern die­se über­spannt ge­wis­ser­ma­ßen auch ein längst ver­gan­ge­nes und doch wich­ti­ges Ka­pi­tel der Orts­ge­schich­te. Denn die Schlucht, die mit dem aus Ba­salt­stei­nen ge­mau­er­ten Bo­gen über­brückt wird, ist künst­li­cher Na­tur. Ent­stan­den ist sie bei den Bau­ar­bei­ten zum „Lü­cken­schluss“ der Vo­gels­berg­bahn zwi­schen den bei­den be­reits vor­her exis­tie­ren­den Bahn­hö­fen Ge­dern und Gre­ben­hain-Crain­feld im Zeit­raum von 1903 bis 1905. Um den enor­men Hö­hen­un­ter­schied bei der Über­que­rung der Rhein-We­ser-Was­ser­schei­de zu be­wäl­ti­gen, muss­ten zwi­schen den Bahn­sta­tio­nen Ber­muths­hain und Hart­manns­hain zwei Kehr­schlei­fen, ein ho­her Damm und zwei me­ter­tie­fe Ein­schnit­te an­ge­legt werden. 

Der längs­te die­ser Ein­schnit­te, durch enor­me Erd­ab­tra­gun­gen ge­schaf­fen, ist im­mer­hin etwa 600 m lang. Über ihn führt auch die Hart­manns­hai­ner Brü­cke. Die­se mar­kiert na­he­zu ex­akt die er­wähn­te Was­ser­schei­de und be­fand sich zu­gleich auch am höchs­ten Punkt der ge­sam­ten Vo­gels­berg­bahn – auf 580 m ü. NN. Den Land­wir­ten aus Hart­manns­hain auch wei­ter­hin Zu­gang zu ih­ren jen­seits der „Schlucht“ be­find­li­chen Äckern und Fel­dern zu er­mög­li­chen, war letz­ten En­des der ei­gent­li­che Grund, dass die Brü­cke ge­baut wur­de. Zu­dem führ­te über sie der tra­di­tio­nel­le lo­ka­le Ver­bin­dungs­weg ins be­nach­bar­te Bermuthshain.

Ei­sen­bahn­freun­de wis­sen es na­tür­lich: In Hart­manns­hain be­fand sich einst der höchst­ge­le­ge­ne Bahn­hof in Hes­sen (auf 574 m ü. NN), zu des­sen bau­li­chem En­sem­ble die Brü­cke im wei­te­ren Sinn ge­hör­te. Ein Vier­tel­jahr­hun­dert lang, von 1934 bis 1959, war Hart­manns­hain so­gar ein lo­ka­ler Ei­sen­bahn­kno­ten­punkt, denn hier mün­de­te die Vo­gels­ber­ger Süd­bahn von Wäch­ters­bach über Bir­stein in die Vo­gels­berg­bahn von Lau­ter­bach über Ge­dern nach Stock­heim ein. Zu­dem exis­tier­te in Hart­manns­hain bis An­fang der 1920er Jah­re eine Bahn­meis­te­rei. Mit dem Bahn­hof zog au­ßer­dem ein be­schei­de­ner Wohl­stand im bis da­hin eher ar­men Bau­ern­dorf Hart­manns­hain ein, denn nicht we­ni­ge ört­li­che Män­ner ar­bei­te­ten bei der Ei­sen­bahn. Und es ka­men in zu­neh­men­dem Maß Tou­ris­ten aus dem Rhein-Main-Ge­biet, die im ho­hen Vo­gels­berg Er­ho­lung such­ten und die Bahn als be­que­men An­rei­se­weg nutz­ten. Ohne den Bahn­hof Hart­manns­hain wäre die na­he­ge­le­ge­ne Her­chen­hai­ner Höhe wohl kaum zu ei­nem der An­zie­hungs­punk­te der Re­gi­on ge­wor­den. Bei äl­te­ren Mit­men­schen sind die lan­gen Sk­i­son­der­zü­ge von Frank­furt am Main bis Hart­manns­hain noch in gu­ter Er­in­ne­rung. Auch die bei­den ört­li­chen Gast­wirt­schaf­ten „Darm­städ­ter Hof“ und „Tor zum Vo­gels­berg“ pro­fi­tier­ten vom Be­su­cher­strom – letz­te­re trug nicht ohne Grund ur­sprüng­lich den Na­men „Zur Eisenbahn“.

Vie­le his­to­ri­sche Fo­tos, die heu­te die Er­in­ne­rung an das Ei­sen­bahn-Be­triebs­ge­sche­hen in Hart­manns­hain be­wah­ren, wur­den von der Brü­cke aus ge­schos­sen, bot die­se doch ei­nen her­vor­ra­gen­den Über­blick über das ge­sam­te Bahn­hofs­ge­län­de mit sei­nen bis zu sechs Glei­sen. Schon ab den 1950er Jah­ren be­gann aber mit der Still­le­gung der Vo­gels­ber­ger Süd­bahn und der Kon­kur­renz durch par­al­lel zur Schie­ne ver­keh­ren­de Bus­se der Nie­der­gang des Bahn­hofs Hart­manns­hain. Im Zei­chen des wach­sen­den Wohl­stands im „Wirt­schafts­wun­der“ stie­gen auch im Vo­gels­berg im­mer mehr Men­schen von der Bahn auf den ei­ge­nen PKW um. Ab 1964 war der Bahn­hof Hart­manns­hain nicht mehr durch Bahn­per­so­nal be­setzt. Die bau­li­chen An­la­gen, so auch die Brü­cke, wur­den zu­neh­mend ver­nach­läs­sigt. Am 27. Sep­tem­ber 1975 hielt dann zum letz­ten Mal ein fahr­plan­mä­ßi­ger Schie­nen­bus in Hart­manns­hain. Kaum ein Drei­vier­tel­jahr spä­ter, am 26. Mai 1976, war auch beim Gü­ter­ver­kehr Schluss. Bis 1977 wur­den alle Schie­nen zwi­schen Gre­ben­hain-Ober­wald und Ober-See­men de­mon­tiert – Hart­manns­hain war vom Ei­sen­bahn­netz „ab­ge­hängt“.

Wo sich einst Glei­se und Bahn­stei­ge be­fan­den, wuchs im Lauf der Zeit ein re­gel­rech­ter „Ur­wald“, der den Bahn­be­trieb heu­te kaum noch er­ah­nen lässt. Ver­schwun­den sind auch die meis­ten Bau­lich­kei­ten des Bahn­hofs – ein­mal ab­ge­se­hen vom Emp­fangs­ge­bäu­de, das sich aber als Wohn­ge­bäu­de in Pri­vat­be­sitz be­fin­det und we­gen der He­cken­land­schaft auf dem eins­ti­gen Bahn­hofs­are­al vom Vul­kan­rad­weg den Bli­cken weit­ge­hend ent­zo­gen ist. So ist es heu­te vor al­lem die Brü­cke, die durch Dar­über-Lau­fen oder Dar­un­ter-durch-Ra­deln die Ei­sen­bahn­ge­schich­te in Hart­manns­hain haut­nah er­fah­ren lässt. Und das dank der jetzt ab­ge­schlos­se­nen Re­stau­rie­rung in mus­ter­gül­ti­gem Zustand.